Ulrich Sommerrock • DAS ENGLISCHE LAUTENLIED (1597-1622) Eine literaturwissenschaftlich-musikologische Untersuchung, Regensburg (Roderer Verlag), 1990 |
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Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich mit den englischen Lautenliedern oder Ayres, die zwischen 1597 und 1622 in rund 30 Drucken publiziert wurden. Während die Bedeutung des Lautenliedes in die Musikgeschichte längst bekannt ist und es nicht an musikwissenschaftlichen Untersuchungen darüber fehlt, kann dies von seiner literarischen Komponente nicht in gleichem Maße behauptet werden. Zwar wird das Ayre von den meisten Literaturgeschichten erwähnt und meist wird auch auf seine literarische Bedeutung hingewiesen. Seine literaturwissenschaftliche Untersuchung beschränkte sich aber, mit der Ausnahme von Lindley's Buch über Thomas Campion, fast ausschließlich auf dessen formale Seite, hauptsächlich auf das Verhältnis von Metrum und Rhythmus des Liedtextes zum Rhythmus der Musik. Die Texte der Ayres fanden bisher wenig Beachtung. Diese Lücke wird von der vorliegenden Arbeit geschlossen, welche somit die erste Gesamtdarstellung der Thematik der Lautenlieder darstellt. Im Gegensatz zu Lindley, der Text und Musik zunächst in eigenen Kapiteln darstellt und erst dann Berührungspunkte zwischen beiden erörtert, versucht die vorliegende Arbeit an Hand von exemplarischen Einzelinterpretationen zu den jeweiligen Themen die gegenseitige Abhängigkeit von Text und Musik aufzuweisen. Während manche Literaturwissenschaftler die Ansicht vertreten haben, man könne die Texte der Lieder ohne die Musik betrachten, einige sich sogar zu der Behauptung hinreißen ließen, die Musik sei nur ein störendes Anhängsel, das die Qualität der Lyrik verdecke, manche Musikwissenschaftler hingegen nur die Musik, die Melodiebildung und die Harmonik, betrachteten und die Texte völlig ignorierten oder als belanglos abtaten, geht die vorliegende Arbeit davon aus, daß man Text und Musik als zwei zusammenhängende und sich gegenseitig bedingende Faktoren eines Gesamtkunstwerkes betrachten muß, wenn man dem Ayre gerecht werden will. Mit der Untersuchung der Ayres erschließt die vorliegende Arbeit nicht nur für die Literaturwissenschaft ein bisher wenig beachtetes Textkorpus, sie beleuchtet auch mit der Darstellung des Verhältnisses von Text und Musik eine zentrale Eigenschaft eines Großteils der elisabethanischen Lyrik überhaupt, nämlich deren prinzipielle Vertonbarkeit. Sie zeigt auf, daß die Rücksicht auf die Musik für die Lyrik nicht nur metrische Konsequenzen hat, sondern auch die formale wie gedankliche Struktur der Gedichte bestimmt und die Vorliebe für bestimmte Themen erklären kann. Der Einfluß des Ayre auf Metrum und Rhythmus der Gedichte liegt im wesentlichen in der Ausbildung eines variablen Metrums. Den einzelnen Versen einer Strophe muß, wie anhand von John Dowlands "Weepe you no more" aufgewiesen wird, kein einheitliches Metrum zugrunde liegen. Stattdessen wird die bei einigen Liedern recht komplexe rhythmische Struktur der ersten Strophe in allen Strophen wiederholt. Parallele Rhythmik ist aber nur ein Mittel, um die Gleichförmigkeit der Strophen zu garantieren, welche, da alle Strophen zur gleichen Melodie gesungen werden, eine unabdingbare Voraussetzung eines zur Vertonung im Ayre-Stil geeigneten Textes darstellt. Die wichtigsten Verfahren, welche die Dichter entwickelten, um ein Gedicht auf diese Weise zu strukturieren, werden in der Einleitung zusammengefaßt. Ist diese Strukturierungstechnik, die sich auch in nicht vertonter Lyrik findet, auch auf den Einfluß des Ayre zurückzuführen, so gibt es doch auch eine ganze Reihe von Ayres, die die Forderung nach Gleichförmigkeit der Strophen sehr locker handhaben. Oft folgt die Aussetzung dabei nur der ersten Strophe. Die Ausführung der weiteren überließ man dann der Geschicklichkeit des Sängers. Hat so die Musik einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Form der Lyrik genommen, so zeigt umgekehrt die Analyse zeitgenössischer musiktheoretischer Werke, daß auch eine umgekehrte Einflußnahme stattfand. Von großer Bedeutung auf die Entwicklung der Musik waren in dieser Zeit die Zeitströmungen des Humanismus und der Reformation. So unterschiedlich im einzelnen deren Anliegen waren, so treffen sie sich doch in einer neuen Betonung der zentralen Stellung des Wortes, welche auch in der gesungenen Musik zu einer Umwertung des Verhältnisses von Wort und Musik führt. War im Mittelalter der Text der Musik untergeordnet, so wird die Musik jetzt als "Dienerin des Wortes" angesehen. Die Interpretationen von Lautenliedern zeigen, wie die Ayre-Komponisten dieser Forderung nachgekommen sind. Da die Musik somit selbst - wenigstens zum Teil - eine Interpretation des Textes darstellt, kann sie auch für den Interpreten des Textes von großer Hilfe sein. Bei der Untersuchung der Thematik greift die vorliegende Arbeit auf die von E. R. Curtius propagierte, auf der antiken Rhetorik fußende, Topos-lehre zurück, Sie zeigt, wie verschiedene Topoi und andere literarische Konventionen von den Textdichtern der Ayres verarbeitet werden. Die Verwendung konventionellen Materials ist dabei sowohl auf die Poetologie der Elisabethaner, vor allem auf die Lehre von der imitatio, als auch auf das musikalische Medium zurückzuführen. Im Gegensatz zu einem Gedicht kann man ein Lied normalerweise nur einmal beim Vortrag hören und muß dem Gedankengang sofort folgen können. Wird konventionelles thematisches Material verwendet, so weiß der Zuhörer gleich zu Beginn, was der Text beinhalten wird, und kann sich dann auf eine etwaige Pointe besser konzentrieren, welche sonst leicht unterzugehen drohte. Die antike Rhetorik beherrscht auch die formale Gestalt der Liedtexte. Die meisten formalen Charakteristika der Ayres, welche über die metrischen und rhythmischen Kennzeichen hinausgehen, lassen sich mit der Terminologie der literarischen Rhetorik beschreiben. Die Definitionen der rhetorischen Figuren werden in der vorliegenden Arbeit den elisabethanischen Rhetoriken von George Puttenham und Henry Peacham entnommen, welche die größte Gewähr einer historisch vertretbaren Interpretation der Textgestalt der Ayres garantieren. Bei der Analyse der Musik bedient sich die vorliegende Arbeit der Terminologie der musikalischen Figurenlehre. Obwohl in England selbst keine Handbücher mit musikalischen Figurenlehren erschienen sind, hat auch dort die Rhetorik, wie im Einleitungskapitel gezeigt wird, einen immensen Einfluß ausgeübt, so daß es berechtigt erscheint, die Figuren, wie sie etwa von Burmeister definiert wurden, auch auf das englische Lautenlied anzuwenden. Die vorliegende Arbeit geht aber nicht davon aus, daß die Komponisten bewußt in Anlehnung an die Rhetorik komponiert hätten, sondern sieht in der rhetorischen Terminologie, wie dies auch Burmeister tat, hauptsächlich ein Begriffsinstrumentarium, um musikalische Vorgänge benennen zu können. Die Verarbeitung dieser musikalischen Mittel bei einigen Komponisten zeigt aber deutlich, daß sich diese der Wirkung, die bei den Rhetorikern den Figuren zugeschrieben wird, durchaus bewußt waren, und diese planvoll einsetzten. Die systematische Darstellung der Thematik der Lautenlieder erfolgt in acht Kapiteln, von denen die ersten vier der Liebeslyrik gewidmet sind, welche quantitativ den größten Teil der publizierten Ayre-Texte ausmacht. Ein wesentlicher Anlaß der Liebeslyrik ist das Lob der Geliebten. Die Analyse entsprechender Lautenlieder zeigt, daß diese dem Vorbild des literarischen Damenportraits folgen. Während Thomas Fords "How Shall I then discribe my loue" durch die Mischung von Elementen der äußeren Schönheit der Geliebten und ihrer Tugend der Zweiteilung des konventionellen Portraits in die allocutio und die notatio folgt, konzentrieren sich Thomas Campions "Her rosie cheekes" und "There is a Garden in her face" auf die Beschreibung des Äußeren der Geliebten. In standardisierten Metaphern wie Rosen, Perlen, Lilien, Korallen usw. wird das von der Konvention festgelegte Ideal als eine Kombination der Farben weiß und rot besungen. Beide Stücke gehen aber weit über die stereotype Anordnung dieser Beschreibungsdetails hinaus. Sie verwenden diese als Vehikel einer übergeordneten Aussageabsicht. Das erste Lied stellt der Schönheit der Geliebten in der Nachfolge Petrarcas deren Grausamkeit und Härte gegenüber, das zweite ironisiert den petrarkistischen Schönheitskatalog durch einen eingefügten Marktschrei, mit dem sich die Dame selbst zum "Kauf" anbietet. Bei beiden Liedern ist die Musik ein integraler Bestandteil der Aussage. Im ersten verstärkt die Verwendung der Musik für beide, inhaltlich entgegengesetzte, Strophen den Widerspruch von Schönheit und Grausamkeit der Geliebten, bereitet dadurch aber andererseits auf die in Text überraschende Formulierung des ewigen Dienstes an der hartherzigen Dame vor. Das zweite Lied gestaltet den Widerspruch zwischen dem petrarkistischen Schönheitskatalog und der, wie literarische Querverweise zeigen, sexuell zu deutenden Kirschmetapher durch einen musikalischen Gegensatz (antitheton) zwischen der feierlichen Melodie des Anfangs und dem Marktschrei des Refrains. Ein Vergleich mit einer weiteren Aussetzung desselben Textes von Robert Jones zeigt, wie verschiedene Komponisten unterschiedliche Akzentsetzungen vornehmen und dadurch die Rezeption des Textes beim Zuhörer entscheidend verändern können. Das ebenfalls von Robert Jones stammende, offensichtlich der Königin Elisabeth gewidmete "Behold her locks" stellt die Konvention der Schönheitsbeschreibung - auf welche hier vor allem die Bilder des Goldhaares und der Sternenaugen hinweisen - in den Dienst eines Herrscherlobes. Musikalisch ist Jones dem Madrigalstil verpflichtet. Er deutet das Glitzern der Augen durch eine musikalische Verzierung aus (hypotyposis) und wiederholt einzelne Textteile, um ihnen eine besondere Emphase zu verleihen (epizeuxis). Die Konvention der Schönheitsbeschreibung und das dahinterstehende Schönheitsideal blieben aber nicht unwidersprochen, Besonders in den Liederbüchern von Thomas Campion und Robert Jones finden sich viele Stücke, die beides ironisieren. Manche, wie Campions "I care not for these ladies', besingen ein abweichendes Schönheitsideal oder stellen, wie das ebenfalls von Campion stammende "Give beauty all her right" die Verbindlichkeit eines solchen völlig in Abrede. Andere wenden sich gegen die einseitige Hochschätzung der Schönheit und stellen dieser höhere Werte entgegen, Robert Jones' "Women, what are they", das in deutlicher Anlehnung an die mittelalterliche Weiberschelte die Frauen als wechselhafte "Wetterhähne" und als "Stolpersteine der Tugend" beschimpft, kann als krasseste Ausformung solcher antipetrarkistischer Tendenzen angesehen werden. Wie viele Gedichte des 16. Jahrhunderts versuchen auch manche Lautenlieder das Wesen der Liebe in der allegorischen Figur des Liebesgottes Amor / Cupido zu ergründen. Stereotype Verweise auf dessen Hinterhältigkeit sowie die Verbindung von Liebe und Leid weisen auf die ovidische Tradition hin. Aber auch diese Konvention wird ironisiert. So negiert Cavendishs "Loue is not blind" die traditionell Amor zugeschriebenen Eigenschaften und stellt sie in den Dienst einer Liebesabsage, deren scherzhafter Charakter durch die Aussetzung im Dreiertakt unterstrichen wird. Ein weiteres beliebtes Thema ist die Frage nach dem Ursprung der Liebe, welche Campion in zweien seiner Lieder, von denen eines die Umarbeitung des anderen darstellt, behandelt hat. In "Mistris, since you so much desire" zielt die beschreibende Aufwärtsbewegung mit dem Refrain "but a little higher" zunächst konventionell auf die Augen als den Wohnsitz der Liebe, transzendiert diese aber dann in Richtung auf ein platonisches Ideal der absoluten Schönheit. Der als gradatio ausgesetzte Refrain spielt durch die musikalische "Leiter"-Figur direkt auf Platos Liebesleiter an. Im zweiten Lied, "Beauty, since you so much desire" beginnt die Suche nach dem Ort der Liebe dagegen bei den Füßen der Dame, wodurch der Refrain "but a little higher" zu einer frivolen Pointe wird und das ganze Lied zu einem Frontalangriff gegen die platonisch-petrarkistische Tradition macht. Wie in der gesamten Renaissance so erfreuten sich auch bei den Ayre-Komponisten Liebesdefinitionen großer Beliebtheit. Wie Robert Jones' volksliedhaftes "Now what is loue" zeigt, beschränken sich die meisten Definitionen auf die schon im Mittelalter beschriebene Doppelnatur der Liebe als Freude und Leid. Legen diese antithetischen oder paradoxen Formulierungen nahe, daß sich die Liebe einer genauen Definition entzieht, weil sie etwas beschreiben, ohne es wirklich zu definieren (conglobatio), so stellt Robert Jones' "Loue is a bable" die Möglichkeit einer adäquaten Definition der Liebe völlig in Abrede und stellt fest, die Liebe sei ein Rätsel, das niemand lösen könne. Beim Versuch, zu umschreiben, was Liebe sei, gerät der Sprecher ins Stottern und resigniert schließlich, was Jones in der Musik sehr wirkungsvoll durch die Figur der palillogia sowie durch Pausen ausdrückt. Die häufigste Form der Liebesaussprache ist in den Lautenliedern wie in der gesamten elisabethanischen Lyrik die in der Tradition Petrarcas stehende Liebesklage. Deren Hauptanlaß ist, wie in Daniell Batchelars "To plead my faith", unerwiderte Liebe. Dieser Text, der von Lord Devereux stammt, zeigt einen stark biographisch gefärbten Hintergrund, ist aber gleichzeitig eine konventionelle Liebesklage im Stile Petrarcas. Die Verwendung der Sonettform, welche in den Lautenliedern äußert selten begegnet, die Aneinanderreihung von Antithesen zwischen der Treue des Liebenden und der Verachtung der Geliebten und das Versinken des Sprechers in Verzweiflung sind typische Kennzeichen des petrarkistischen Liebesgedichtes. Viele Lieder sind hyperbolische Beschreibungen des Seelenzustandes des abgewiesenen Liebenden. Wie Petrarca bedienen sich die Dichter dabei vielfältiger Naturvergleiche, Danyel vergleicht den Liebenden mit einem gefangenen Vogel, dessen Lied von der Geliebten verschmäht wird. Bartlet beschreibt ihn als eine Fliege, die von der Geliebten zertreten wird. Wie bei Petrarca weist der Natureingang auf den Zustand des Sprechers hin. In pastoraler Dichtung, schließlich, wird das Seelendrama in die Beziehung des Schäfers zu seiner Herde verlegt. All diesen Beschreibungen ist die Verlagerung von Petrarcas Kennzeichnung des Gemütszustandes des Liebenden als einem Ineinander von Furcht und Hoffnung, von Niedergeschlagenheit und Hochsinn, von Weinen und Lachen auf die leidvolle Komponente der Liebe gemein. Von besonderer Beliebtheit ist deshalb die Todesmotivik. Bedeutet die Zuneigung der Geliebten Leben für den Liebenden, so bedeutet ihre Ablehnung den Tod. In vielen Liedern ergibt sich der Sprecher wegen der Aussichtslosigkeit seines Werbens der Verzweiflung und sehnt schließlich den Tod als das Ende seiner Qualen herbei. Diese Klischee wird in Thomas Greaves' "Ye bubling springs" satirisch kommentiert, wenn der abgewiesene Liebhaber am Ende seiner Klage schließlich zur Einsicht kommt, die Liebe sei wahrhaft kein Grund zu sterben. Greaves deutet in diesem Lied nicht nur einzelne Begriffe, wie das Pochen des Herzens und den "report" der Nachtigall durch hypotyposis-Figuren aus, sondern versucht vor allem den Stimmungswandel des Textes durch die Veränderung der musikalischen Textur nachzuzeichnen. Eine weitere Ironisierung der Todesmetapher begegnet in Liedern, die das Bild des Todes, dem Brauch der Zeit entsprechend, als double entendre für den sexuellen Höhepunkt verwenden. Ein besonders raffiniertes Beispiel dafür ist Dowlands Come againe", dessen Refrain, "to see, to heare, to touch, to kisse, to die" auf die fünf Stufen der Liebe anspielt, welche in der Musik als gradatio abgebildet werden. Fast alle Lautenlieder implizieren einen männlichen Sprecher. Nur bei Campion und bei Jones finden sich einige Frauenklagen. In Campions "Oft haue I sigh'd" klagt eine maid darüber, von ihrem Liebhaber verlassen worden zu sein. Die musikalische Aussetzung des Stückes steht dabei in krassem Gegensatz zu Campions dezidierter Ablehnung madrigalistischer Techniken. Mit Hilfe von wortausdeutenden und affekthaltigen Figuren, wie ecphonesis, pathopoeia, suspiratio und hypotyposis gelingt es Campion, das Pathos des Textes in der Musik einzufangen. "Faine would I wed a faire yong man" ist der Monolog einer maid, die sich nach der Heirat mit einem schönen jungen Mann sehnt. In musikalischer Hinsicht ist dieses Stück von Bedeutung, da seine Melodie eine niedergeschriebene Improvisation über das Harmonieschema des passamezzo antico darstellt. Die Tagelieder, die sich im Korpus der Ayres finden, zeigen eine gewisse Affinität zur Lyrik der metaphysicals. So konnten anhand von Donnes "Tis true, t'is day" aus William Corkines zweiten Liederbuch einige Probleme der Vertonung von metaphysischer Lyrik erörtert werden, die Donnes Ablehnung gegen die Vertonung seiner eigenen Lyrik verständlich machen. Allerdings erweisen sich Äußerungen von Kritikern, wonach metaphysische Lyrik gar nicht zu vertonen sei, ebenfalls als zu einseitig. Doch müssen solche Texte ein gewisses Maß an Mindestforderungen erfüllen, wenn sie auch als Liedtexte geeignet sein sollen. John Dowlands "Sweet stay a while" behandelt dieselbe Thematik wie Donnes Gedicht. Einige Modifikationen aber, wie vor allem das Zurücktreten der argutezza und die Nivellierung von Syntax und Metrik lassen den Text als Liedtext geeigneter erscheinen als "Tis true, t'is day". Dowlands Aussetzung ist ganz darauf ausgerichtet, die im Text dargestellte Stimmung einzufangen und zu intensivieren. Pastorale Einladungsgedichte wie Thomas Fords "Come Phillis come" können als Vorstufe zum Verführungsgedicht angesehen werden. Auch Dowlands "Come againe" erwies sich bei näherer Betrachtung als ein als Liebesklage getarntes Verführungsgedicht. Die meisten poems of seduction unter den Ayres aber, wie etwa Corkines "Sweete Cupid ripen her desire" rekurrieren auf das horazische carpe-diem-Motiv und zeigen damit eine Nähe zur Dichtung der cavalier poets. Eine Schlüsselposition für die Entwicklung des Genres am Ausgang der englischen Renaissance aber nehmen die Adaptionen von Catulls berühmten Gedicht "Vivamus, mea Lesbia" ein, von denen sich allein drei in den Ayre-Büchern finden. Ein Vergleich von Corkines "My deerest Mistrisse, let vs liue and loue", Ferraboscos "Come my Celia" und Campions "My sweetest Lesbia" zeigte, in welch unterschiedlicher Art sich diese Dichter des antiken Vorbilds bedienen und lieferte so ein beredtes Zeugnis für die Anwendung der imitatio-Lehre. Sind die meisten Verführungsgedichte als Monolog oder als Dialog konzipiert, so schildert "It fell on a sommers day" eine Verführungsszene in Erzählform, deren besondere Pointe in der veränderten Rolle der beteiligten Frau liegt. Campions Vertonung weist unter der Oberfläche balladesker Einfachheit eine unerwartete Komplexität auf, welche in vielfacher Weise den Inhalt des Textes spiegelt und kommentiert Handeln auch die meisten Klagelieder von verschmähter Liebe oder den Schmerzen der Trennung zweier Liebender, so gibt es doch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Texten, die für die geschilderte Verzweiflung des Sprechers keinen Grund angeben. Die meisten Beispiele dieser Gattung finden sich im Oevre von John Dowland, welchem deshalb das Hauptinteresse des Kapitels gilt. Dowlands wohl bekanntestes Lied, "Flow my teares", dessen Text nachträglich der Melodie der Lachrimae-Pavane unterlegt wurde, beschreibt die Verzweiflung des Sprechers in den Bildern der Tränen und Seufzer und vor allem in der Antithese von Licht und Dunkel. In "Sorrow stay" hingegen, erscheinen "Sorrow" und "Despair" als allegorische Figuren, an die sich der Sprecher wendet. Der exzessive Gebrauch der rhetorischen Figur der epizeuxis, welcher den Text auf das Doppelte aufbläht, dient, in Verbindung mit entsprechenden musikalisch-rhetorischen Figuren, wie synonymia, pallilogia, ecphonesis, anabasis, catabasis und pathopoeia der emotionalen Aufladung und Dramatisierung der Textes. Als bedeutendstes Lied aus Dowlands Feder ist "In darknesse let mee dwell" anzusehen, welches die Verzweiflung des lyrischen Ich in einer Amplifikation der Metapher des Wohnens in der Dunkelheit beschreibt. Die musikalische Aussetzung ist von äußerster Komplexität und Subtilität und berücksichtigt selbst die feinsten Nuancen des Textes. In diesem Lied zieht Dowland sämtliche Register einer auf die Verwendung von musikalisch-rhetorischen Figuren gestützten Textauslegung. Vielfältige Wiederholungsfiguren, Chromatik und eine Vielzahl von Dissonanzen drücken den Schmerz des Textes aus. Die Wiederaufnahme das ersten Halbverses am Schluß des Liedes (epanalepsis) und das abrupte Ende (aposiopesis) lassen die Verzweiflung des Sprechers als endgültig und seine Lage als ausweglos erscheinen. Die in diesen und ähnlichen Texten verwendeten Bilder sind zum Teil archetypischer Natur, zeigen aber auch eine starke Affinität zu den Symptomen der Modekrankheit Melancholie, wie sie in den Traktaten der Zeit, insbesondere in Robert Burtons "The Anatomy of Melancholy" beschrieben werden. Dabei stellt sich die Frage, worin die Affinität der Komponisten, allen voran Dowlands, zu solchen melancholischen Texten begründet sei. Der Versuch Rooleys, dies auf den Einfluß okkulter Philosophien und Praktiken zurückzuführen, erwies sich als nicht haltbar. Der Grund für die Vorliebe mancher Komponisten für melancholische Texte scheint vielmehr eher musikalischer Natur gewesen zu sein. Diese emotionsgeladenen Texte boten ihnen die Möglichkeit einer expressiven musikalischen Aussetzung, in der sie alle Register ihres Könnens ziehen konnten. Die Texte all dieser Lieder sind seltsam vage und entziehen sich einer exakten philosophischen Deutung, Eine Ausnahme bilden einige Beispiele, die die Tradition der mittelalterlichen contemptus-mundi-Literatur fortsetzen. Während dort aber die Verachtung der Welt immer durch die Hinwendung zum Jenseits motiviert ist, ist eine solche Ausrichtung in den entsprechenden Texten der Lautenlieder meist nicht zu erkennen. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist Tobias Humes "Alas poore men", das die Form einer carol aufweist, wobei der burden mit derselben Musik wiedergegeben ist, die einzelnen Strophen aber durchkomponiert sind. Dieser Gegensatz wird noch durch aufführungspraktische Anleitungen ergänzt, welche Hume diesem von einer akkordisch gespielten Viola da Gamba begleiteten Lied voranstellt. Dem Thema der Melancholie verwandt ist das der Trauer, welche Puttenham als einen der Hauptanlässe von poeticall lamentations angibt. Campions "All lookes be pale" ist eine Elegie anläßlich des Todes von Prinz Henry, in welcher, der Tradition der funeral elegy entsprechend, die Trauer um den Verstorbenen (threnos) mit dem Lob des Lebenden (epainos) vermischt ist. Das dritte traditionelle Element, der Trost der Hinterbliebenen (paramuthia), fehlt hingegen. John Danyels Trilogie "Griefe keep within" ist eine private Totenklage, die, wie der Untertitel angibt, eine Witwe auf den Tod ihres Gatten anstimmt. Von besonderem musikalischen Interesse ist Danyels Gestaltung des die drei Teile verbindenden Refrains, dessen Abwandlung durch die Veränderung der emotionalen Lage der Sprecherin motiviert ist. So wird durch den Stillstand der melodischen Bewegung am Schluß des Stückes eine Beruhigung der Witwe angedeutet, die im Text nicht ohne weiteres zu erkennen ist. Dem threnos wird somit musikalisch eine verhaltene paramuthia hinzugefügt. Coperarios Sammlung "Funeral Tears" ist Charles Blount, dem Earl of Devonshire und achten Lord Mountjoy gewidmet. Die Anordnung der sieben Lieder sowie der Einleitungs- und Schlußgedichte erinnert an die Struktur des ignazischen Meditationsschemas, wobei Coperario aber einiges den Erfordernissen des musikalischen Mediums anpaßt. Die dem Zyklus vorangestellten Gedichte und das erste Lied erfüllen die Funktion des Eingangsgebetes und der einleitenden Präludien, indem sie den Gegenstand der Meditation bestimmen. Die folgenden Lieder umkreisen die Trauer um Blount und das Problem der Vergänglichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln. Die exakte Zuordnung dieser Gedichte zu den drei Meditationsstufen, die Mc Grady insinuiert, scheint aber kaum möglich. Sehr deutlich ist die Nähe zum Meditationsschema aber dann, wenn der Zyklus in einem Duett als Analogon zum letzten Schritt der Meditation, dem Gespräch mit Gott, endet. Coperarios Musik unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der seiner Zeitgenossen, wie der Vergleich des fünften Liedes 'In darkness let me dwell11 mit der Aussetzung desselben Textes von Dowland deutlich zeigt. In den "Songs of Mourning" hat Coperario einen Text von Thomas Campion auf den Tod von Prinz Henry vertont. Die sieben Lieder wenden sich dabei zunächst an die dem toten Prinzen nahestehenden Personen und dehnen diesen Kreis allmählich weiter aus, bis schließlich ganz England, ja die ganze Welt in die Trauer um den Toten einstimmt. Deutlicher als in anderen Totenklagen ist hier das konventionelle Element der paramuthia zu erkennen, wenn zum Schluß Henrys Bruder Charles dazu aufgerufen wird, die Hoffnungen, die England in Henry gesetzt hat, zu erfüllen. Coperarios Musik zeigt gewisse Ähnlichkeiten mit den rhythmischen und melodischen Konventionen der italienischen Monodie, bleibt aber insgesamt sehr individuell und eigenwillig. Religiöse Lieder sind in den Ayre-Sammlungen relativ selten und beschränken sich fast ausschließlich auf Dowlands "A Pilgrimes Solace" und Campions erstes Liederbuch. "Author of light", das Eingangsstück von Campions "First Booke" gestaltet das reformatorische Grundaxiom des Gegensatzes zwischen den in Schuld und Sünde verstrickten Menschen und der Gnade Gottes in der konventionellen Licht-Dunkel-Metaphorik. Während die meisten Lieder der Sammlung recht schlicht ausgesetzt sind, stehen hier Melodiebildung, Rhythmik und Harmonik ganz im Dienst der Textauslegung. Wie andere religiöse Dichter der Zeit hat sich Campion auch an Psalmadaptionen versucht, welche von fast wortgetreuen Übersetzungen bis zu sehr vage an bestimmte Vorlagen erinnernde Nachdichtungen reichen. Als gelungenste Psalmparaphrase ist dabei "Out of my soules deapth to thee my cryes haue sounded", eine metrische Übersetzung von Psalm 130, anzusehen. Zwei Lieder Campions reflektieren das Problem der Beziehung zwischen Musik und Religion. Während "To Musicke bent is my retyred minde" die Musik dem irdischen Pomp zurechnet, welcher erst durch die religiöse Zielsetzung gerechtfertigt sei, geht "Tune thy Musicke to thy hart" etwas detaillierter auf das Medium des religiösen Liedes ein. Charakteristisch ist dabei die auch in der Aussetzung befolgte Forderung, die Musik dürfe niemals vom Wort Gottes ablenken, sie sei aber zu begrüßen als eine Möglichkeit, die Menschen für das Gotteswort empfänglicher zu machen. Manche von Dowlands melancholischen Liedern erfuhren später eine religiöse Umdeutung. Wie "If that a Sinners Sighes" zeigte, ist eine solche Tendenz aber auch bei Dowland selbst schon zu erkennen. In diesem Lied werden nämlich die Seufzer und Klagen nicht als Ausdruck einer an der Welt verzweifelnden Stimmung, sondern als Zeichen der Einsicht in die eigene Sündhaftigkeit und damit als Zeichen der Reue interpretiert. In ihrer musikalischen Komplexität stehen alle Lieder Dowlands in krassem Gegensatz zum reformatorischen Streben nach Einfachheit, was an deutlichsten in der Trilogie "Thou mighty God" zum Ausdruck kommt, welche eine Meditation über die christliche Tugend der "patience" darstellt. In einigen Liedern schließlich wird die Musik selbst thematisiert. Meist rekurriert das encomium musicae dabei, wie in Pilkingtons "Mvsick dear sollace' auf den traditionellen Topos der Heilkraft der Musik gegen die Trübsal. Dabei kann diese Funktion auch, wie Bartlets "Svrchargd with discontent" zeigt, von der Musik der Natur erfüllt werden. In der Auflistung und musikalischen Darstellung der verschiedenen gefiederten Sänger des Waldes, welche die Schwermut des Sprechers vertreiben, reiht sich Bartlets Stück in die musikalische Tradition ein, deren bekanntestes Beispiel Janequins "Le chant des oyseaulx" darstellt. Das in der musikalischen Praxis der Zeit so wichtige Problem der Musik als Affektträger wird nur in zwei Liedern angesprochen. Campions "When to her lute Corrina sings" plädiert für eine schon barocke Musikästhetik, wird aber von der eigenen musikalischen Aussetzung, welche in für Campion ungewöhnlichem Maße Madrigalismen enthält, desavouiert. John Danyels Trilogie "Can dolefull Notes" stellt dessen persönliche Sicht zum Problem des musikalischen Ausdrucks von starken Emotionen in einem theoretischen wie praktischen Plädoyer für die chromatische Musik dar. In den Einzelinterpretationen der Ayres zeigte sich, daß sich deren Textdichter, dem Brauch der Zeit entsprechend, in großem Maße der rhetorischen Figuren bedienen, wie sie in den Poetiken der Zeit beschrieben sind. Von besonderer Bedeutung für das Verhältnis von Text und Musik erwiesen sich dabei alle Arten von Wiederholungsfiguren, welche in sehr unterschiedlicher Weise in der musikalischen Aussetzung berücksichtigt werden. Dabei kann allerdings in den meisten Fällen nicht festgestellt ob die Wiederholungen bereits in dem ursprünglichen Text des Gedichts vorhanden waren - falls ein solcher überhaupt existierte - oder ob sie erst im Zuge der Vertonung hinzugefügt wurden. Bei allen Liedern erwies sich die musikalische Komponente als integraler Bestandteil des Ayre. In vielfältiger Weise parallellisiert, intensiviert und kommentiert die musikalische Textur die Aussage des Textes. Wie im vorliegenden Exposè bereits angedeutet wurde, konnten dabei verschiedene Methoden nachgewiesen werden, deren sich die Komponisten bedienten, um den humanistischen Forderungen bezüglich der Relation von Wort und Musik nachzukommen. Sehr vereinfachend lassen sich diese auf drei Arten der musikalischen Aussetzung reduzieren, welche zum Teil bestimmte Liedtypen charakterisieren, meist aber nebeneinander verwendet werden. Die einfachste Art, dem Text in einer Vertonung "zu dienen", ist es, in der Musik möglichst wenig von ihm abzulenken. Darauf sind wohl die simple, homophone Textur mancher Lieder, deren Verzicht auf Melismatik und deren dem Gedichtmetrum folgende Rhythmik zurückzuführen. Häufig wird darüberhinaus versucht, die inhaltliche wie formale Struktur des Textes in der Musik nachzuzeichnen. In den epigrammatisch strukturierten Liedern konnte deshalb der Musik ein nicht unbeträchtlicher Anteil an der Wirkung der Pointe des Textes zuerkannt werden. Zweitens versuchten die Komponisten der Ayres wie die der Madrigale, wichtige Wörter und Phrasen durch Wortausdeutung oder durch Wiederholungen hervorzuheben. Treten auch die Wortausdeutungen gegenüber den Madrigalen zurück und werden auch die Wiederholungen meist zur emphatischen Hervorhebung wichtiger Textteile benutzt, so sind doch auch die Ayre-Komponisten nicht immer der Gefahr entgangen, Standardwörter auszudeuten, die im Kontext des Liedes keine Emphase verdient hätten, oder Wiederholungsfiguren aus rein musikalischem Interesse einzusetzen. Drittens versuchten viele Komponisten, allen voran Dowland, in der musikalischen Aussetzung die Stimmung des Textes einzufangen. Sie folgten dabei den allgemeinen Richtlinien, die Thomas Morley dafür in seiner "Introduction to Practicall Musicke" zusammengestellt hat, wendeten aber auch eine Vielzahl affektsteigernder musikalisch rhetorischer Figuren, sowie rhythmischer und harmonischer Mittel an, die über Morleys Vorschriften weit hinausgehen. In manchen dieser Lieder scheint der Text nurmehr ein Anlaß für die virtuose Darstellung von Affekten zu sein. Mit der vorliegenden Dissertation wurde der Literaturwissenschaft ein bisher wenig beachtetes Textkorpus neu erschlossen. Vor allem die Miteinbeziehung der Musik in die Interpretation der Texte ließ diese lyrischen Miniaturen in einem neuen Licht erscheinen. Damit stellt die Arbeit einen wichtigen Beitrag zu unserer Kenntnis der elisabethanischen Dichtkunst dar. | |
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